Durch den stetigen Ausbau der Windenergie gibt es in Deutschland mittlerweile über 30.000 Windenergieanlagen mit mehr als 90.000 Rotorblättern, die typischerweise über 50 Meter lang sind. Während ihrer geplanten Laufzeit von 20 Jahren wirken unzählige Kräfte auf die Rotorblätter ein (Wind, Fliehkräfte, Regen, Frost etc.). Die Rotorblätter müssen also in regelmäßigen Abständen überprüft werden, um den Sicherheitsanforderungen zu genügen bzw. Schäden oder Totalverluste ganzer Anlagen zu verhindern. Die „Standard-Inspektion„ eines Rotorblatts ist eine Kombination aus visueller Sichtprüfung und dem sogenannten „Klopftest„, bei dem durch Klopfen von außen versucht wird, auf Fehlstellen im Inneren des Rotorblatts rückzuschließen. Jedoch bleiben viele Fehler damit unentdeckt, die Prüfung setzt große Erfahrung des Prüfers voraus und ist nicht automatisierbar. Typische Fehler sind Verklebungsfehler, Ondulationen oder Delaminationen.
Wärmefluss-Thermographie als ergänzendes Prüfverfahren
Als ergänzendes Prüfverfahren hat sich daher mittlerweile die Wärmefluss-Thermographie bewährt. Mit ihrer Hilfe können die Rotorblätter in einer akzeptablen Zeit berührungslos auf oberflächennahe Fehler untersucht werden. Die Methode eignet sich sowohl für (auf dem Boden) liegende als auch (an der Windenergieanlage) hängende Blätter. Neueste Weiterentwicklungen ermöglichen jetzt auch die Prüfung von rotierenden Blättern.
An liegenden Blättern kann die Prüfung zum Beispiel mit einem Messwagen erfolgen, der sich auf einem Schienensystem entlang des Blatts bewegt. Eine weitere Möglichkeit ist die Prüfung direkt im Inneren des Rotorblatts, d. h. der Prüfer bewegt sich samt Prüfsystem im Inneren des Rotorblatts.
Die Prüfung von hängenden Blättern erfolgt meist durch Arbeitsbühnen, die in der einen oder anderen Weise an der Windenergieanlage befestigt sind und zum Beispiel an Seilen hochgezogen und wieder herabgelassen werden können. Das zu untersuchende Blatt steht dann senkrecht nach unten. Auch hier kann die Prüfung innerhalb des Blatts erfolgen, dann aber in horizontaler Position.
In der Entwicklung befinden sich Verfahren, die eine Inspektion hängender Blätter auch ohne direkten Zugang durch eine Arbeitsbühne erlauben. Dabei kommt eine Wärmebildkamera zum Einsatz, die z. B. mittels Teleobjektiven aus Distanzen bis zu einigen hundert Metern das Rotorblatt untersucht. Alternativ können auch Drohnen dafür eingesetzt werden.
Auf diese Weise ist es auch möglich, drehende Rotorblätter zu untersuchen, wodurch Zeitverlust durch Abmontieren oder Stillstand vermieden wird. Erkannt werden können so z. B. Risse oder Turbulenzeffekte.
Hintergrundwissen Wärmefluss-Thermographie
Die Wärmefluss-Thermographie ist ein zerstörungsfreies Prüfverfahren, mit dem unterhalb der Oberfläche liegende Fehlstellen in Bauteilen erkannt werden können, die äußerlich nicht sichtbar sind. Basis des Verfahrens ist die Analyse des Wärmeflusses bzw. der Wärmeleitfähigkeit in den Bauteilen. Die Wärmefluss-Thermographie arbeitet bildgebend.
Wie funktioniert Wärmefluss-Thermographie?
Für die Untersuchung muss das Prüfobjekt erwärmt bzw. aufgeheizt werden. Die Erwärmung kann entweder impulsartig oder periodisch erfolgen, oder es wird die Eigenwärme benutzt, wenn ein Bauteil bereits erwärmt aus dem Produktionsprozess kommt. In der anschließenden Abkühlungsphase wird mit einer Infrarot-Kamera die Temperaturverteilung an der Oberfläche des Bauteils beobachtet. Befinden sich Fehlstellen im Material (Blasen, Lunker, Risse, Delaminationen, etc.), wird der Wärmefluss gestört, was an der Oberfläche durch Temperaturunterschiede sichtbar wird. Die Temperaturunterschiede können mithilfe der Thermographie-Kamera erkannt und ausgewertet werden. Typische Materialien, bei denen Wärmefluss-Thermographie zielführend zur Qualitätssicherung eingesetzt werden kann, sind Holz, Metall, Leichtbau und Verbundmaterialien (GFK, CFK), Kunststoff, Lebensmittel, Lack, Verpackungen oder Leder.
Wie kann ich mehr über die Wärmefluss-Thermographie erfahren?
Leitfaden zur Wärmefluss-Thermographie
Das Thema steht im Fokus des Leitfadens zur Wärmefluss-Thermographie, der 2022 in 3. überarbeiteter und aktualisierter Auflage vom Fraunhofer-Geschäftsbereich Vision herausgegeben wurde. Die 74 Seiten starke Publikation stellt das Thema der Wärmefluss-Thermographie aus Sicht der angewandten Wissenschaft und industriellen Forschung vor. Die Leserinnen und Leser sollen eine realistische Vorstellung hinsichtlich der Möglichkeiten und der heute verfügbaren Technologien erhalten und für die industrielle Praxis relevante Einsatzweisen und Anwendungsbereiche kennenlernen. Der neue Leitfaden-Band liefert einen Überblick über die Wärmefluss-Thermographie, wobei zunächst typische Verfahren und Methoden sowie Algorithmik und Kameratechnik vorgestellt werden. Im Anschluss wird anhand realisierter Anwendungen das praktische Einsatzspektrum, insbesondere für die Qualitätssicherung in der Fertigung, beschrieben, auch unter Berücksichtigung aktueller Aktivitäten im Bereich Standardisierung und Normierung.
Online-Seminar Wärmefluss-Thermographie
Beim eintägigen Online-Seminar zur »Wärmefluss-Thermographie« des Fraunhofer-Geschäftsbereichs Vision wird relevantes Expertenwissen für die industrielle Anwenderpraxis aus erster Hand vermittelt. Die Teilnehmenden des Seminars erhalten einen umfassenden Einblick in die Wärmefluss-Thermographie und lernen die Möglichkeiten und Grenzen der zerstörungsfreien Prüfung mit Thermographie kennen, um hieraus Leitlinien für die eigene Investitionsplanung ableiten zu können.
Kursdaten
Nächster Termin: 16. März 2023
Ort: Online
Kosten: 480,00 €
Anmeldung
Im Vision Webshop
Kontakt
Susanne Wagner M.A., Telefon: +49 911 58061-5800, E-Mail: vision@fraunhofer.de
Veranstalter
Fraunhofer-Geschäftsbereich Vision