Grüner Wasserstoff ist für die Energiewende und die Transformation hin zu klimaneutralen Technologien unverzichtbar. Als Brennstoff für Heizungen und in der Industrie, als Kraftstoff für die emissionsfreie Mobilität oder Rohstoff kann der vielseitige Energieträger eine Schlüsselfunktion einnehmen. Mit der Einführung von Wasserstoff steht die Industrie vor einem Wandel, der in einem breiten Branchenfeld neues Wissen von Fachleuten erfordert – und damit Weiterbildung.
Prof. Dr.-Ing. Görge Deerberg, stellvertretender Institutsleiter vom Fraunhofer UMSICHT, beschäftigt sich mit der Ausbildung von Wasserstoff-Pionieren. Im Interview skizziert er die aktuellen Herausforderungen und Chancen dieses Transformationsprozesses.
Sie bieten gemeinsam mit der Fraunhofer Academy gebündeltes Know-how für zukünftige Wasserstoff-Expert*innen in Seminaren, modularen Lehrgängen und Qualifizierungsangeboten. Welche Berufsgruppen und Verantwortlichen spielen im Arbeitsfeld Wasserstoff eine entscheidende Rolle?
Wir sehen hier eine sehr große Spannbreite an akademischen und handwerklichen Berufen. Das beginnt bei Jurist*innen und Verantwortlichen für Genehmigungsverfahren in Behörden und erstreckt sich über viele naturwissenschaftliche akademische Berufe bis hin zu den Fachgebieten Materialwissenschaft und Konstruktion. Hinzu kommt der gewerbliche Bereich, also Mechatroniker*innen, Heizungsinstallateur*innen, Elektriker*innen, Expert*innen aus dem Anlagenbetrieb und der chemischen Industrie und viele andere Handwerksberufe.
Wie sind wir in Deutschland in Sachen Wasserstoff-Kompetenz aufgestellt? Gibt es Lücken?
Noch qualifizieren sich nur wenige Pioniere für das Wasserstoffzeitalter. Der Bedarf im Gewerbe, beispielsweise in der Autowerkstatt oder bei Gas-Wasser, ist allerdings auch noch gering. Aber der Mangel an Wasserstoff-Fachleuten könnte zum Showstopper werden, insbesondere vor dem Hintergrund des allgemeinen Fachkräftemangels. Die IHKs konzipieren deshalb schon spezifische Wasserstoff-Ausbildungsberufe und Profile.
Ich denke, wir werden schon bald eine starke Nachfrage haben, insbesondere im Industriebereich. Das Gewerbe wird nachziehen. Ich möchte die Betriebe und jede*n Einzelne*n ermutigen, jetzt mit der Qualifizierung zum Wasserstoff-Pionier zu starten und die Möglichkeiten zu nutzen.
Welche Chancen stecken für die deutsche Wirtschaft im Thema Wasserstoff?
Die Weiterbildung für die Jobs der Zukunft in der Wasserstoffwirtschaft kann unsere Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit langfristig stärken und die industrielle Wertschöpfung im Land halten. Dabei geht es nicht nur um den Umgang mit Wasserstoff in den Betrieben, sondern auch die Erzeugungstechnologie. Die Anlagen zur Wasserstofferzeugung werden noch überwiegend als Einzelstücke in Handarbeit hergestellt. Hier kann Deutschland als Land der Ingenieur*innnen und Anlagenbauer*innen eine führende Rolle beim Thema Wasserstoff übernehmen. Die zukünftige Serienfertigung der Elektrolyseure in hoher Stückzahl könnte in Produktionsstraßen wie in der Autoindustrie stattfinden – und von Deutschland aus exportiert werden. Qualifizierungen sind der Erfolgsschlüssel, sich diese Potenziale zu eröffnen.
Wie kann die Ausbildung der Wasserstoff-Expert*innen gelingen? Welche Sektoren sind vom Wandel betroffen und wie verändern sich die Anforderungen?
Gerade in der Industrie, wie in der Chemie und im Energiebereich, ist oft schon viel Wissen vorhanden, so dass Upskilling in Modulen ein guter Ansatz ist, den wir beispielsweise gemeinsam mit der Fernuniversität in Hagen anbieten. Die Teilnehmenden können innerhalb einer Woche Grundlagen aufbauen und dann individuell weiter vertiefen. Ein Aspekt der Ausbildung für die Wasserstofftechnologie ist dabei auch die Schulung von Sicherheitskompetenzen, die einfach anders sind als bei Methan.
Es gibt einen deutlichen Trend, nicht nur, aber insbesondere auch im Bereich Wasserstoff: Die Berufsbilder werden immer interdisziplinärer. Benötigt werden deshalb sektorenübergreifende Kenntnisse. Und zwar nicht nur im akademischen Umfeld, sondern auch im Gewerbe. Zukünftig sind hier viel mehr Zusammenarbeit und Kommunikation gefragt, beispielsweise zwischen Elektriker*innen und Gasinstallateur*innen. Das berücksichtigen wir in unseren Kursen, beispielsweise indem wir die Erfordernisse der Sektorenkopplung vermitteln.
Unser Experte im Interview
Prof. Dr.-Ing. Görge Deerberg
Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT
Osterfelder Str. 3
46047 Oberhausen
Telefon +49 208 8598-1107
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Jutta Haubenreich ist seit 2009 in wechselnden Rollen bei Fraunhofer Academy tätig. Sie war u.a. für das übergreifende Marketing der Fraunhofer Academy und für die Betreuung und Vermarktung von Fraunhofer-Weiterbildungsprogrammen im Bereich Energie und Nachhaltigkeit zuständig. Aktuell betreut sie insbesondere die Fraunhofer Wasserstoff Education Community. Von 2011 bis 2017 war sie Projektleiterin und Koordinatorin des BMBF-Verbundprojektes »mint.online: Berufsbegleitende Studienangebote in MINT-Fächern«.
Von 2015 bis 2022 promovierte sie berufsbegleitend am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München zum Thema »Der Einfluss des Fernsehens auf Bildungsmotivation und -entscheidung«.