Von Wasserstoff können perspektivisch viele Branchen profitieren, beispielsweise die Stahl- und Chemieindustrie. Dafür gilt es, die aktuelle Herausforderung zu lösen, dass die Produktion von Wasserstoffsystemen noch nicht auf industriellem Niveau stattfindet. Was es dazu braucht, woran es hakt und wie die Industrie zukünftig von Wasserstoff profitieren könnte, das zeigt Dr.-Ing. Ulrike Beyer, Leiterin TaskForce Wasserstoff@IWU im Interview.
Wie ist der Status quo in Deutschland, wenn es um die Produktion von Wasserstoffsystemen geht?
Die Technologien sind für die industrielle Massenproduktion noch nicht ausgereift. Hier kommt es darauf an, mit Forschung und Entwicklung ein neues Zeitalter einzuläuten, damit die Kosten für Wasserstoffsysteme (Brennstoffzelle und Elektrolyseure) zu senken und so schließlich eine Kostenparität von Wasserstoff zu den fossilen Alternativen zu realisieren. Wenn wir es gemeinsam schaffen, zunächst die Produktion von Elektrolyseuren auf industrielles Niveau zu heben, lässt sich nicht nur die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff beschleunigen, sondern auch die deutsche Industrie substanziell und nachhaltig stärken.
Wie kann eine Produktion auf industriellem Niveau gelingen?
Zunächst muss das Bewusstsein für diese einmaligen Möglichkeiten, in konkrete Handlungsfelder transferiert werden. Auch gilt es, entsprechende Netzwerke zu knüpfen und sich die neuen Chancen konkret zu erschließen. Hier können Schulungen und Workshops diese Arbeit deutlich beschleunigen. Beim Fraunhofer IWU fließen u.a. Erfahrungen aus dem Wasserstoff-Leitprojekt H2Giga vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit ein. In diesem wird u.a. daran geforscht, neue kontinuierliche Rolle-zu-Rolle-Verfahren für die Elektrolyseur-Fertigung in die Serienproduktion zu bringen. Auch sind wir dabei, die Referenzfabrik.H2 zu starten und eine Wertschöpfungsgemeinschaft zu bilden, die Unternehmen für sich nutzen und in die sie sich als Partner einklinken können – dafür gibt es drei Beteiligungsmodelle. Adressiert sind der Maschinen- und Anlagenbau, Produktionsunternehmen, Materialhersteller, Mess- und Regelungstechniker und das Engineering.
Was muss noch geschehen, wo hakt es?
Bisher wird hochspezialisiert, wenig automatisiert in kleinen Stückzahlen gefertigt. Jetzt gilt es, einen Technologiebaukasten mit verschieden Verfahren zu entwickeln, der optimale Lösungen für verschiedenen Unternehmen und einen sich stetig hochskalierenden Markt bereitstellt. Aber auch Schnittstellen in der Prozesskette müssen definiert werden und der Aufbau von Lieferketten wird eine größere Rolle spielen. Das ist auch in der Weiterbildung sehr interessant, weil sehr viele neue wasserstoffspezifische Aspekte in die bestehenden technologischen Kompetenzen der Unternehmen eingearbeitet werden müssen.
Welche Vorteile kann die deutsche Wirtschaft mit Wasserstoff realisieren?
Mit Wasserstoff gelingt es, Klimaschutz und Wertschöpfung zu verbinden. Wenn wir jetzt auf eine industrielle Produktion von Wasserstoffsystemen setzen, können wir als Gesellschaft immens profitieren, die Energiewende schaffen und den Produktionsstandort Deutschland sichern.
In welchen Branchen wird Wasserstoff insbesondere zum Einsatz kommen?
Die CO2-Minderungsquote spricht dafür, den kostbaren grünen Wasserstoff in den Prozessen der Stahl- und Chemieindustrie einzusetzen. Doch während die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Prozessindustrie von wesentlich niedrigeren Wasserstoffkosten abhängt, ist die Automobilindustrie preistoleranter und bietet damit Einsatzpotenziale insbesondere für die Brennstoffzelle. Wenn es gelingt, Wasserstoff-Erzeugung und -Nutzung effektiv zu synchronisieren, dann wird aus den heute entstehenden Wasserstoffinseln bis zum Ende dieses Jahrzehntes eine flächendeckende Wasserstoffwirtschaft. In der wird eine Rückverstromung von Wasserstoff ein wesentlicher Eckpfeiler der Energieversorgung darstellen. In diesem Zusammenhang wird die aktuelle Diskussion, um den Wirkungsgrad der Wasserstoffverwendung in der Mobilität komplett überflüssig und der Brennstoffzellenantrieb eine weitere Alternative.
Was vor Kurzen wie ein Zukunftsszenarium klang, machen die aktuellen geopolitischen Verschiebungen nun schneller und bereits mittelfristig notwendig.
Unsere Expertin im Interview
Dr.-Ing. Ulrike Beyer
Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU
Reichenhainer Straße 88
09126 Chemnitz
Telefon: +49 371 5397-1066
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Jutta Haubenreich ist seit 2009 in wechselnden Rollen bei Fraunhofer Academy tätig. Sie war u.a. für das übergreifende Marketing der Fraunhofer Academy und für die Betreuung und Vermarktung von Fraunhofer-Weiterbildungsprogrammen im Bereich Energie und Nachhaltigkeit zuständig. Aktuell betreut sie insbesondere die Fraunhofer Wasserstoff Education Community. Von 2011 bis 2017 war sie Projektleiterin und Koordinatorin des BMBF-Verbundprojektes »mint.online: Berufsbegleitende Studienangebote in MINT-Fächern«.
Von 2015 bis 2022 promovierte sie berufsbegleitend am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München zum Thema »Der Einfluss des Fernsehens auf Bildungsmotivation und -entscheidung«.