Bereits seit dem ersten Jahr des Bestehens der Fraunhofer Academy arbeitet das Fraunhofer IBP mit der Academy in puncto Lehrmethoden, Lernkonzepte und Förderprojekten zusammen. So wurde im Jahr 2007 der Studiengang „Bauphysik“ ins Leben gerufen.
Die Zusammenarbeit und das Weiterbildungsangebot wuchsen – genau wie der Bedarf. Inzwischen gibt es sowohl den Studiengang Master Online Bauphysik und Umweltgerechtes Bauen als auch den Master Online Akustik. Professor Dr.-Ing Philip Leistner, Direktor des Instituts für Akustik und Bauphysik, schildert im Interview, wie sich Bauphysik und Akustik, aber auch die Weiterbildung verändert haben – und welche Bedeutung sie für unser modernes Zusammenleben spielen.
Herr Professor Leistner, es gibt den schönen Merksatz „Jeder Neubau ist ein Altbau, wenn bei seiner Errichtung bauphysikalische Prinzipien nicht beachtet wurden.“ Welche bauphysikalischen Prinzipien galten früher, welche gelten heute und was treibt die Bauphysik der Zukunft?
Die zentralen Ansprüche an Gebäude haben sich eigentlich kaum geändert. Schäden minimieren und Aufenthaltsqualität erhöhen, das war bereits vor 100 Jahren das Ziel, als mit dem Bauhaus auch die Disziplin der Bauphysik begann, neue Gestaltungsmöglichkeiten zu suchen. In der jüngeren Vergangenheit haben sich die Zielwerte deutlich erhöht und aus dem „klassischen“ Wärme-, Feuchte- und Schallschutz wurden komplexe Qualitätskriterien für Klima, Akustik, Licht und Luft in Räumen. Zugleich etablierte sich die Erkenntnis, dass diese hohe bauphysikalische Qualität mit minimalem Energie- und Ressourceneinsatz erreicht werden muss.
Aktuell wird deutlich, dass all diese Ansprüche nur zu erfüllen sind, wenn sowohl Gebäude als auch ihr urbanes Umfeld gemeinsam verstanden, behandelt und entwickelt werden. Damit dies gelingen kann, müssen wir auf Wissen bauen, das mit den Änderungen Schritt hält. Die konkreten Anforderungen an Gebäude steigen, die digitalen Werkzeuge zu ihrer Planung werden leistungsfähiger und auch die Technologien zur baulichen Umsetzung entwickeln sich rasant weiter. Damit lassen sich umwelt-, klima- und kultur(en)gerechte Gebäude und Städte erreichen – wenn möglichst viele Fachleute über dieses Wissen verfügen und es anwenden.
Was bedeutet das für die Weiterbildung im Bereich Bauphysik?
Der Wunsch, aber auch der zwingende Bedarf nach nachhaltigem Leben und Wohnen wird immer größer. Das Pariser Abkommen hat diesem Thema einen rechtlichen Rahmen verliehen und die Baubranche dabei mit eingebunden. Die nationale und regionale Politik greift diese Ziele nun auf und wird sehr konkret. Da nachhaltiges Bauen noch ein junges Arbeits- und Forschungsfeld ist, ist dessen Umsetzung noch keine weitverbreitete Praxis. Die Aufgabe von uns Bildungsstätten ist hierbei, neue Weiterbildungsangebote für die Öffentlichkeit anzubieten, um Bewusstsein mit Wissen für umweltbewusstes Bauen zu verknüpfen.
Aufgrund der zunehmenden Bedeutung der digitalen Bildung ist es umso wichtiger, nicht nur aktuelle Forschung, sondern auch soziopolitische Aspekte des Bauens in das Studium mit einzubinden. Mit dem Schwerpunkt „Umweltgerechtes Bauen“ sollen Studierende ein Verständnis für nachhaltiges Bauen bekommen. Der inhaltliche Fokus des interdisziplinären Studien- und Zertifikatprogramms liegt daher in der Vermittlung der wissenschaftlichen Grundsätze, Methoden und Prinzipen des klima- und kultur(en)gerechten Entwerfens, Planen und Bauens. Somit stehen nicht nur die Bauweise und Baumaterialien eines Gebäudes im Mittelpunkt, sondern auch das Wohlbefinden des Nutzers sowie die Wechselwirkung des Menschen mit seiner gebauten Umwelt.
Welchen Einfluss hat die Covid-19-Pandemie auf Ihre Weiterbildungsangebote?
Durch die Covid-19-Pandemie sind das digitale Lehren und Lernen von heute auf morgen ein sehr wichtiges Thema geworden. Jedoch zeigten unsere Weiterbildungsangebote bereits vor der Pandemie, dass ein großes Interesse an digitaler Lehre besteht. Hürden und Skepsis gegenüber diesem Thema sind kaum noch vorhanden, dafür sind finanzielle Aspekte auf Seiten der Studierenden in den Vordergrund gerückt. Diesbezüglich bietet der Bund Finanzierungsmöglichkeiten an, um auch in Zukunft die digitale Bildung zu fördern. Schließlich ist auch der akademische Fachkräftemangel weiterhin eine Herausforderung.
Was macht die Weiterbildung im Themenfeld Bauphysik besonders? Wie vermitteln Sie den Bezug zum Alltäglichen?
Für jedes der bauphysikalischen Themenfelder vermitteln wir die komplexen Phänomene und theoretischen Zusammenhänge anschaulich. In der Praxis jedoch stehen die einzelnen Anforderungen in Wechselwirkung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig. Diese spannenden und nicht immer einfach zu lösenden Abhängigkeiten werden in den Veranstaltungen vertieft.
In einer Veranstaltung ist beispielsweise ein Schulgebäude hinsichtlich der Akustik, der Energieeffizienz, des Feuchteschutzes und des Brandschutzes zu sanieren. Die mitunter gegenläufigen Anforderungen bedingen eine ganzheitliche und nachhaltige Lösung mit gut durchdachten Kompromissen, was den Studierenden den Blick fürs Ganze öffnet.
Eine bei den Studierenden besonders beliebte Veranstaltung sind Laborübungen, die unter anderem in den Versuchseinrichtungen des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP stattfinden. Da die Labore für den Studienbetrieb nicht ständig zur Verfügung stehen, wurde eigens hierfür mit Förderung der Fraunhofer-Academy das Lernlabor Bauphysik aufgebaut. Bei den praktischen Messungen werden Stolpersteine bei der Übertragung der Theorie in den Alltag ersichtlich und dann entsprechende Lösungen angeboten bzw. erarbeitet.
Am 06.08.2021 ist Schnupperstudientag – können Sie uns etwas mehr über die Einblicke erzählen?
Sowohl Wissen als auch Technologien sind ständig im Wandel und müssen aktuellen Gegebenheiten kontinuierlich angepasst werden. Daher steht die hohe Aktualität bauphysikalischer Themen auch im Vordergrund des diesjährigen Schnupperstudientags. Mit den Themen Bauphysik – Raumklima und Aerosole sowie Akustik – Homeoffice mit Nachbarn nehmen zwei Themen direkten Bezug zu den aktuellen Herausforderungen der Pandemie. Feuchteschutz – Anforderungen durch den Klimawandel thematisiert bauwerksspezifische Anforderungen, die aus sich ändernden Klimabedingungen resultieren.
Jutta Haubenreich ist seit 2009 in wechselnden Rollen bei Fraunhofer Academy tätig. Sie war u.a. für das übergreifende Marketing der Fraunhofer Academy und für die Betreuung und Vermarktung von Fraunhofer-Weiterbildungsprogrammen im Bereich Energie und Nachhaltigkeit zuständig. Aktuell betreut sie insbesondere die Fraunhofer Wasserstoff Education Community. Von 2011 bis 2017 war sie Projektleiterin und Koordinatorin des BMBF-Verbundprojektes »mint.online: Berufsbegleitende Studienangebote in MINT-Fächern«.
Von 2015 bis 2022 promovierte sie berufsbegleitend am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München zum Thema »Der Einfluss des Fernsehens auf Bildungsmotivation und -entscheidung«.