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Wasserstoff – der Hoffnungsträger für das Klima?

Die Energiebranche stürzt sich derzeit förmlich auf Wasserstoff – getrieben von energiepolitischen Entscheidungen in Folge der geopolitischen Ereignisse. Dass Wasserstoff eine wichtige Energiequelle und ein wichtiger Rohstoff ist, ist von Wissenschaft und nun auch Politik erkannt worden. Die Chancen für Klima und Wirtschaft sind enorm (Siehe Blogartikel Wasserstoff-Weiterbildung – neue Energie für neue Berufsbilder).

Doch reicht Wasserstoff alleine wirklich aus? Können wir selbst genug produzieren? Und sind die derzeit bereitstehenden Technologien und Infrastrukturen bereit dafür, Wasserstoff klimaneutral zu produzieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich unsere Wasserstoff-Expertin Dr. Sabrina Zellmer. Sie ist Abteilungsleiterin für Verfahrens- und Fertigungstechnik für nachhaltige Energiespeicher am Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST in Braunschweig und am Wasserstoff Campus Salzgitter.

Vorteile von Wasserstoff

Wasserstoff bietet als Energieträger zahlreiche Vorteile:

  • Herstellung aus Wasser, das fast unbegrenzt und überall verfügbar ist
  • CO2-neutrale Gewinnung durch Elektrolyse mit Hilfe Strom aus erneuerbaren Energien
  • großes Potenzial zur Erfüllung der Klimaziele
  • vielseitiger, sehr umweltfreundlicher Energieträger
  • bewährte Verfahren verfügbar, aufgrund langjähriger Forschungen und umgesetzter Projekte
  • keine Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas

Viele Anwendungen möglich

Wasserstoff lässt sich als Energieträger und Ausgangsstoff in verschiedenen Bereichen nutzen, insbesondere in der chemischen, petrochemischen und stahlerzeugenden Industrie sowie in der Stromerzeugung, dem Wärmemarkt und in der Mobilität. Zum Beispiel würde in der Stahlindustrie eine Prozessumstellung der Hochofenroute auf Eisendirektreduktion mit Wasserstoff als Reduktionsmittel für bis zu 97 Prozent weniger CO2 sorgen (Quelle: Agora 2019). In der Chemie-Produktion eignet sich H2 als klimaneutraler Rohstoff für Ammoniak oder synthetische Kraftstoffe. Insgesamt kann Wasserstoff im Klimaneutralitätsszenario 2045 etwa 24 Prozent der energetischen und nicht-energetischen Verbräuche im Industriesektor decken, wovon 83 Prozent des Bedarfs auf die Branchen Chemie sowie Eisen und Stahl entfallen (Quelle: EWI 2021).

Weiter Weg zur Klimaneutralität

Fest steht, dass die deutsche Wirtschaft bereits seit einigen Jahren Wasserstoff als Rohstoff nutzt und diesen durch den Einsatz fossiler Energieträger z.B. Gas erzeugt. Wenn also heute davon gesprochen wird, dass genug Wasserstoff vorhanden ist und Deutschland die notwendigen Technologien zur Erzeugung besitzt und nutzt, dann ist es nur die halbe Wahrheit: Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff. Der Wasserstoff, in den alle ihre Hoffnungen setzen, ist grüner Wasserstoff.

Infokasten: Farbenlehre Wasserstoff
Wasserstoff ist ein farbloses Gas. Die Kennzeichnung mit Farben erfolgt aufgrund seines Ursprungs.

  • Grüner Wasserstoff wird durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Dafür wird Strom aus erneuerbaren Energiequellen verwendet. Grüner Wasserstoff ist deshalb CO2-frei.
  • Grauer Wasserstoff wird mittels Dampfreformierung meist aus fossilem Erdgas hergestellt. Dabei entstehen rund 10 Tonnen CO2 pro Tonne Wasserstoff. Das CO2 wird in die Atmosphäre abgegeben.
  • Blauer Wasserstoff ist grauer Wasserstoff, bei dessen Entstehung das CO2 jedoch teilweise abgeschieden und im Erdboden gespeichert wird (CCS, Carbon Capture and Storage). Maximal 90 Prozent des CO2 sind speicherbar.
  • Türkiser Wasserstoff ist Wasserstoff, der über die thermische Spaltung von Methan (Methanpyrolyse) hergestellt wird. Anstelle von CO2 entsteht dabei fester Kohlenstoff. Das Verfahren der Methanpyrolyse befindet sich derzeit noch in der Entwicklung.

Nur dieser kann seine volle Wirkung für das Klima entfalten. Um wirklich nachhaltig und klimaschonend zu sein, muss Wasserstoff durch Elektrolyse aus grünem Strom gewonnen werden, also aus erneuerbaren Energiequellen wie Sonne oder Wind. Bislang sind etwa 93 Prozent des in Deutschland genutzten Wasserstoffs grau, also aus fossilen Brennstoffen wie Erdgas, Kohle oder Öl gewonnen (Quelle: Nationale Wasserstoffstrategie).

Transformationsprozess nötig

Deutschland kann jedoch nur eine geringe Menge an grünem Wasserstoff selbst erzeugen, da vorteilhafte Flächen für Wind- und Solarenergie nur begrenzt verfügbar sind und den hohen Strombedarf hierzulande allein nicht decken können. Somit ist Deutschland auf Importe aus Ländern mit günstigeren Bedingungen für erneuerbare Energien angewiesen. Je nach Szenario kann Deutschland 2045 nur 15 Prozent des Bedarfs an Wasserstoff und wasserstoffbasierten Produkten klimaneutral selbst produzieren (Quelle: EWI 2021). Daher sind Lieferstrukturen und ein Netzwerk aus Wasserstoffproduzenten und -anlagen im Ausland aufzubauen. Dies erfordert Investitionen, das Erfüllen von Nachhaltigkeitskriterien und die Berücksichtigung der Produktionsbedingungen vor Ort. Schließlich soll die Bereitstellung von Wasserstoff sowohl klimaschonend als auch wirtschaftlich sein. Zudem müssten die Herstellungsprozesse genauer unter die Lupe genommen werden. Wasserstoff ist flüchtig – es entstehen also hohe Verluste während der gesamten Prozesskette. Das bereitet einer wirtschaftlichen Herstellung große Probleme. Hier ist ein differenzierter Blick auf Wasserstoff notwendig – und Innovation in der gesamten Prozesskette.

Gute Chancen im Energiemix

Wichtig ist hier ein Energiemix: Sowohl der überschüssige Strom in Offshore-Regionen wie der Nord-/Ostsee müsste schnell und einfach in Wasserstoff umgewandelt werden. Dafür braucht es Systeme, die den überschüssigen Strom speichern und verteilen. Die Arbeiten am Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST konzentrieren sich in diesem Bereich insbesondere auf die Material- und Prozessentwicklung sowie die Gestaltung des Fabriksystems zur Herstellung von Energiespeichern wie Wasserstofftechnologien. Am Wasserstoff Campus Salzgitter werden Wasserstofftechnologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Erzeugung bis zur Nutzung unter Berücksichtigung ökonomischer und ökologischer Aspekte zu realisiert, bei denen sich das Fraunhofer-Institut IST als wissenschaftlicher Partner einbringt.

Überblickswissen erhalten

Um besser zu verstehen, wie wir ausreichend grünen Wasserstoff erzeugen und welche Speicher- und Verteilinfrastrukturen es braucht, bieten die Fraunhofer-Kolleginnen und -Kollegen am Wasserstoff Campus Salzgitter ab dem 16. Mai 2022 eine Weiterbildung »Basiswissen Wasserstoff« an. Hier erfahren Planer*innen, Managementbeauftrage, Ingenieur*innen und Fachexpert*innen, wie sie grünen Wasserstoff gewinnen, transportieren und in die Anwendung bringen können. Dabei teilt das Fraunhofer IST neuestes Forschungswissen und zeigt vor Ort, wie Wasserstoff schon jetzt Anwendung in Unternehmen findet.

Die Weiterbildung »Basiswissen Wasserstoff« finden Sie unter Weiterbildung (fraunhofer.de)

Wasserstoff allein wird nicht die Energie- und Klimaanforderungen lösen, sondern nur im Zusammenspiel mit einem beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien und nachhaltiger Technologien. Dabei ist der Blick auf den gesamten Energiekreislauf – inklusive Verflüssigung/Verdichtung, Transport und Speicherung – unabdingbar. Denn Klimaschutz erfordert einen nachhaltigen Gesamtzyklus aller beteiligten Lösungen. Dabei ist die Hoffnung groß, dass Wasserstoff viele Energieprobleme lösen wird und zur Reduzierung von Emissionen beiträgt.

 

Unsere Expertin im Interview

Sabrina Zellmer Fraunhofer IST

Dr.-Ing. Sabrina Zellmer

Abteilungsleiterin Verfahrens- und Fertigungstechnik für nachhaltige Energiespeicher

Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST
Bienroder Weg 54 e
38108 Braunschweig

Telefon +49 531 2155-528

 

Quellen:

Agora Energiewende und Wuppertal Institut (2019): Klimaneutrale Industrie: Schlüsseltechnologien und Politikoptionen für Stahl, Chemie und Zement. Berlin, November 2019.

Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln (EWI) (2021). dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität. Klimaneutralität 2045 – Transformation der Verbrauchssektoren und des Energiesystems. Herausgegeben von der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena)

Weiterführende Informationen zu Wasserstoff bei Fraunhofer

Wasserstoff (fraunhofer.de)

Wasserstofftechnologien (fraunhofer.de)

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