Warum ein digitaler Zwilling auch immer ein Paradigmenwechsel ist
Ein digitaler Zwilling ist weitaus mehr als nur ein digitales Abbild. Digital Twins sind der Weg zu einem datengetriebenen Unternehmen. Zurecht gewinnt das Konzept in der Industrie und Produktion zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Ganz gleich, ob Maschinen, Prozesse oder Services – digitale Zwillinge geben neue Einblicke in das Produkt- und Nutzungsverhalten. Sie können jedoch auch das Geschäftsmodell verändern. Umso wichtiger ist es, ein unternehmensweites Verständnis für Digital Twins zu schaffen.
Dazu ist es zunächst wichtig, zu verstehen, was ein Digitaler Zwilling ist. Wie der Name bereits vermuten lässt, ist der digitale Zwilling laut Definition des Fraunhofer IPK eine digitale Repräsentation eines aktiven spezifischen Produkts oder eines spezifischen Produkt-Service-Systems. Diese digitale Abbildung erfasst dabei ausgewählte Merkmale, Eigenschaften, Zustände und Verhaltensweisen anhand von Modellen, Informationen und Daten. Dies kann innerhalb eines einzelnen oder über verschiedene Lebenszyklen hinweg geschehen.
Kurzum: Ein digitalisiertes Produkt wirft einen digitalen Schatten, welcher wiederum aus Daten besteht. Die Daten geben dabei den Zustand, laufende Prozesse und Nutzungsfelder des Produkts wieder. Verbindet man diesen digitalen Schatten mit dem digitalen Master – also den Entwicklungsdaten – dann wird es möglich, den Zustand eines Produkts zu erkennen. Langfristig können so die Betriebsparameter angepasst und das Produkt vielleicht sogar während des Betriebs verbessert werden.
Trotz des Potenzials findet sich der digitale Zwilling nur in den wenigsten Fällen in der Industrie umfänglich realisiert – vielmehr sind bisher erste Ausbaustufen zu sehen. Erste Beispiele aus der Automobilherstellung oder der Energieindustrie belegen aber, dass die Prozesseffizienz und Effektivität signifikant gesteigert werden können. Zudem ist es prinzipiell möglich, weitere Dienstleister in die Wertschöpfungskette zu integrieren oder komplette Produktionssysteme im Betrieb mit Hilfe des digitalen Zwillings zu optimieren. Gleichzeitig lassen sich Veränderungen in Produktionsketten simulieren.
An dieser Stelle knüpft der Digital Twin an die Use Cases von digitalen Prototypen an – kann jedoch weitaus mehr leisten. Während ein Prototyp nur in der Produktentwicklung zum Einsatz kommt, kann der Digitale Zwilling den kompletten Produktlebenszyklus begleiten und auch Erkenntnisse für die nächste Produktgeneration liefern.
Unternehmensweite Einführung von Digitalen Zwillingen entscheidend
Die Entwicklung eines digitalen Zwillings kann ich einem grundlegenden Prozess beschrieben werden. Dabei ist es irrelevant, ob das Konstrukt in der Fertigung, Prozessindustrie oder aber Maintenance angewendet wird. Diesen generisch definierten Prozess des Fraunhofer IPK erlernen Interessierte im Zertifizierungsprogramm Mastering Digital Twins. Das Angebot, das gemeinsam mit der Fraunhofer Academy vermittelt wird, adressiert die drei hauptsächlichen Gruppen innerhalb einer Organisation, deren Beteiligung wichtig ist. Das sind zum einen Entscheider und Führungskräfte.
Gerade da die Einführung eines digitalen Zwillings eine strategische Entscheidung ist, müssen Führungskräfte mit einem passenden Change Management begleitet werden. Hierzu zählt insbesondere das Missverständnis, dass Digital Twins zu schnellen Erfolgen führe. Das ist nicht der Fall, stattdessen stellt er einen Paradigmenwechsel zum datengetriebenen Produktbetrieb dar.
Zwei weitere entscheidende Stakeholder-Gruppen stellen die Entwicklungsingenieure und die IT-Entwickler dar. Die Fachkompetenz von beiden ist erforderlich, gleichzeitig benötigen sie die Kompetenz, entscheidende Brücken mitzudenken und sich so viel Querschnittswissen anzueignen, dass sie reibungslos miteinander kommunizieren können. So ist bei den Entwicklungsingenieuren beispielweise relevant, ob sie den digitalen Zwilling erst planen, wenn das Produkt fertig ist – oder schon bei der Entwicklung des Produkts mitdenken. Idealerweise entwickeln sie ihn parallel und lassen die Erkenntnisse aus dem digitalen Zwilling direkt in die Produktion des Produkts einfließen.
Hier haben Solutions Architects die Aufgabe, die Lösungsarchitektur zu entwerfen und auf der Systemebene zu beschreiben, welche Komponenten zu entwickeln sind und wie sie miteinander kommunizieren. An dieser Stelle geht es darum, die Merkmale und Fähigkeiten des Zwillings festzulegen. So werden User Stories und digitaler Zwilling deckungsgleich.
Kompetenzen und ein gemeinsames Verständnis gewinnen
Um dieses komplexe Thema richtig anzugehen, benötigen unterschiedlichste Gruppe innerhalb eines Unternehmens die richtigen Kompetenzen. Mit dem Zertifizierungsprogramm Mastering Digital Twins bietet das Fraunhofer IPK eine auf die jeweiligen Zielgruppen abgestimmte Weiterbildung an. Das Blended-Learning-Programm erklärt Grundlagen und gibt erweiternd dazu Instrumente an die Hand, um das Geschäftspotenzial für das eigene Unternehmen zu evaluieren. Denn für das gesamte Unternehmen ist es wichtig, mit einem genauen Bild des Vorhabens, aber auch mit einer Vorstellung der dafür intern zur Verfügung stehenden Kompetenzen zu starten.
von Thomas Damerau, Experte vom Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) mit Schwerpunkt auf der virtuellen Produktentstehung und Digital Twins
In der Fraunhofer Academy ist Manuel Smid seit Anfang 2015 als Teamassistenz der Geschäftsstelle tätig. Im Jahr 2010 beendete Herr Smid seine Mittlere Reife mit dem Schwerpunkt Wirtschaft. Nach der Mittleren Reife absolvierte er eine Ausbildung zum Bürokaufmann in der Zentrale der Fraunhofer-Gesellschaft in München.