Das Leistungszentrum Nachhaltigkeit ist eine einzigartige Allianz in Deutschland: Hier sind fünf Fraunhofer-Institute in Freiburg und die Albert-Ludwigs-Universität mit nachhaltigkeitsorientierten Unternehmen und Akteuren zu einer Allianz verbunden – in einer der umweltbewusstesten Städte Deutschlands. Dr. Juri Lienert vom Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI, und Jeanette Kristin Weichler vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE erklären, was das Leistungszentrum mitten im Nachhaltigkeitsboom leistet – und welche Rolle dabei der neuen Servicestelle Weiterbildung und Wissenstransfer zukommt.
Herr Dr. Lienert, was sind die Kernaufgaben des Leistungszentrums?
Lienert: Im Leistungszentrum Nachhaltigkeit Freiburg (LZN) bauen wir auf eine Zwei-Säulen-Struktur aus Forschung und Transfer. Zum einen entwickeln wir in gemeinsamen Forschungsprojekten von Fraunhofer und Universität innovative Lösungen zu Herausforderungen im Kontext der Nachhaltigkeit.
Zum anderen kann unserer Meinung nach nachhaltige Entwicklung nur dann gelingen, wenn wissenschaftliche Ergebnisse ihren Weg aus der Forschung in die Praxis finden. Hier sind wir bei der zweiten Kernaufgabe des LZN, nämlich dem Transfer von wissenschaftlichen Ergebnissen in Wirtschaft und Gesellschaft – wie stets bei Fraunhofer, bei uns eben fokussiert auf Nachhaltigkeitsthemen.
Und wie gelingt Ihnen der Transfer in Wirtschaft und Gesellschaft?
Lienert: Dafür bedienen wir verschiedene Tätigkeitsfelder: Zum einen gibt es den Transfer durch Industrie-Aufträge, also Auftragsforschung im Industriekontext, die dann durch die fünf angeschlossenen Fraunhofer-Institute in Freiburg und durch die Institute der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg realisiert werden. Außerdem fördert das Leistungszentrum den Transfer durch Ausgründungen in Form der Unterstützung von Start-ups. Der Transfer in die Zivilgesellschaft findet durch regelmäßige öffentliche Veranstaltungen und durch Öffentlichkeitsarbeit statt.
Zum anderen gibt es den Transfer durch Köpfe. Das Herzstück stellt das Universitäts-Institut für Nachhaltige Technische Systeme, INATECH, dar, das die Nachhaltigkeit als Leitgedanken bei der Entwicklung technischer Systeme etablieren möchte. Die Technische Fakultät, an der zum Beispiel auch der Studiengang Sustainable Systems Engineering aufgehängt ist, wird von der Universität Freiburg und den Fraunhofer-Instituten mit Professuren besetzt. Darüber hinaus wird der Transfer in Unternehmen durch Weiterbildung geleistet – hierfür wurde die Servicestelle Weiterbildung und Wissenstransfer (SWW) initiiert, bei der wir eng mit Frau Weichler zusammenarbeiten.
Frau Weichler, wie hat sich denn die Nachfrage nach Aus- und Weiterbildungen entwickelt? Das Thema Nachhaltigkeit ist ja sehr präsent.
Weichler: Beim Studiengang Sustainable Systems Engineering sehen wir das deutlich: Seit dem Start des Studiengangs (2016) ist die Nachfrage groß und in jedem Semester gibt es mehr Bewerber als angenommen werden können. Das ist ein sehr großer Erfolg – auch in der Vernetzung von Forschungseinrichtungen, Universität und regionaler Wirtschaft. Bei der Weiterbildung ist der Weg allerdings steiniger.
Inwiefern?
Weichler: Ich mache es gerne an einem Beispiel fest: Im Rahmen eines BMBF-Projekts (Bundesministerium für Bildung und Forschung) haben wir Weiterbildungen entwickelt und pilotiert. Dabei haben wir festgestellt, dass der Bedarf im Markt groß ist und berufsbegleitende Weiterbildung mit einem sehr hohen Zertifikatsabschluss diesen Bedarf gut bedienen würde. Als es nach der Pilotierung aber darum ging, dass diese Kurse kostenpflichtig angeboten werden, war der Andrang nicht mehr da. In Branchen wie der Energiewirtschaft ist der Bedarf zwar enorm, aber die Bereitschaft der Arbeitgeber, hier Ressourcen aufzuwenden, leider zu gering.
Wissen Sie, woran das liegt?
Weichler: Einige fürchten tatsächlich, dass die Mitarbeitenden nach der Weiterbildung dann den Arbeitsplatz wechseln oder der eigenen Führungskraft Konkurrenz machen würden. Andere scheuen den zeitlichen und finanziellen Aufwand.
Wie reagieren Sie darauf?
Weichler: Wir werden künftig auch kleinteiligere Formate anbieten. Online-Seminar-Reihen etwa, bei denen die Teilnehmenden mit einem Experten oder einer Expertin in Interaktion treten. Für die zweite Jahreshälfte planen wir zudem ein Barcamp-Format. Darüber hinaus entwickeln wir ein Corporate-Learning-Angebot, bei dem wir eine Weiterbildung speziell für ein Unternehmen maßschneidern. Gerade in Branchen, die Weiterbildung so skeptisch gegenüberstehen, sehen wir darin einen guten Weg. So nehmen wir die Befürchtung, dass Seminare nicht in die eigene Praxis übertragbar sind.
Lienert: Genau. Das erste Thema der Online-Seminar-Reihe wird Künstliche Intelligenz für den Mittelstand sein. Im Weiterbildungsbereich ist die Zusammenarbeit mit der SWW sehr wertvoll. Die Angebote, die wir fachlich konzipieren, können so auch wirklich gebündelt und integriert vermarktet werden.
Das Leistungszentrum fördert zudem auch Ausgründungen, richtig?
Lienert: Ja, das gehört mit zu unseren Aufgaben. Wir fördern Start-ups, arbeiten mit Accelerator-Programmen zusammen und vermitteln auch nach innen in die Forschung, welche Möglichkeiten es gibt, aus Innovationen Produkte zu schaffen – und wie Fraunhofer unterstützt. Gerade hier ist der Transfer in die Öffentlichkeit und die Vernetzung mit der Gesellschaft sehr bedeutend. Auch dabei hilft unsere Allianz – so treten wir gebündelt auf.
Weichler: Und wenn ich noch ergänzen darf: Durch das Leistungszentrum sind viel mehr Querverbindungen und Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichsten Akteuren entstanden. Es kommt intern wie extern zu einem weitaus stärkeren Dialog. Wir erkennen schneller, wo Bedarfe liegen, wo neue Technologien entstehen. Unternehmen finden zudem schneller den richtigen Ansprechpartner – und haben auch eine geringere Hemmschwelle an eine Universität oder Forschungseinrichtung mit ihren Bedarfen und Fragen heranzutreten.
Wie unterstützt die SWW die Institute bei dieser Außenarbeit?
Weichler: Die Servicestelle pflegt das Netzwerk und baut es aus. Wir bringen die Fachleute aus der Forschung mit Gemeinden und Firmen zusammen. Darüber hinaus unterstützen wir sie auch bei Ausschreibungen. Denn immer häufiger geht es auch in Forschungsprojekten um die Wissenschaftskommunikation und die Fachqualifizierung – diese Kompetenzen und Referenzen können sie durch die SWW nachweisen. Der Transfer von Wissen in die Öffentlichkeit, in die Firmen, sowie die Befähigung, dieses einzusetzen, schafft dann zudem Awareness und Verständnis für neue Technologien.
Herr Dr. Lienert, das Leistungszentrum Nachhaltigkeit betreibt auch Demonstrator- und Ankerprojekte. Können Sie dazu mehr erzählen?
Lienert: Selbstverständlich. Gegenwärtig laufen acht sogenannte Demonstrator-Projekte, die von uns gefördert werden. Bei den Demonstrator-Projekten treten wir im Prinzip als Projektträger auf. Wir finanzieren diese Kooperationsprojekte zwischen Fraunhofer-Institut und Universität. Das Ziel dabei ist, einen Schritt weiter zu gehen und aus der Forschung auch Produkte zu entwickeln, die für die Industrie von Interesse sind. So reichen die Forschungsschwerpunkte von sustainable materials und energy systems bis hin zu resilience engineering und ecological und societal transformation. Bis Ende 2020 soll in diesen Projekten dann ein Demonstrator, also ein funktionsfähiger Prototyp, hergestellt werden. Später können diese Produkte lizensiert oder über eine Ausgründung vertrieben werden.
Bei Ankerprojekten handelt es sich dagegen um bilaterale Forschungsprojekte – unser größtes Projekt ist i-protect gemeinsam mit Daimler und Bosch. Hier geht es um innovative Sicherheitstechnologie und intelligente Werkstoffe für mehr Fahrzeugsicherheit. Das besondere an diesen Projekten sind die langen Laufzeiten, in deren Umfang sich dann viele Aktivitäten, auch die Ausbildung von Nachwuchskräften, die an konkreten Fragestellungen forschen, mit einbinden lassen.
Herr Dr. Lienert, Frau Weichler, vielen Dank für das Gespräch!
Jeanette Kristin Weichler Mag.Sc. ist Leiterin der Servicestelle Weiterbildung und Wissenstransfer SWW und des Regionalbüros der Fraunhofer Academy. Sie ist am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE beschäftigt. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind der Aufbau und die Etablierung von Weiterbildungsangeboten, die Entwicklung von Geschäftsmodellen und -prozessen im Wissenschafts- und Bildungsmanagement, sowie die Themenbereiche Onlinelehre und -medien und kompetenzorientierte, anwendungsbezogene Prüfungen.
Dr. Juri Lienert ist der Leiter der Geschäftsstelle des Leistungszentrums Nachhaltigkeit Freiburg von Seiten der Fraunhofer-Gesellschaft. Er ist am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI beschäftigt und hat sich den Transfer von Freiburger Forschung im Kontext von nachhaltiger Entwicklung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zur Hauptaufgabe gemacht.
Adem Salgin ist in der Academy seit Anfang 2017 im Bereich Lernlabor Cybersicherheit tätig und dort für das Veranstaltungsmanagement zuständig.
Adem Salgin beendete 2006 seine Fachhochschule im Bereich Wirtschaft. Anschließend absolvierte er seine Ausbildung zum Bürokaufmann in der Zentrale der Fraunhofer-Gesellschaft in München. Im Zeitraum 2011 bis 2016 war Herr Salgin als Veranstaltungskoordinator bei der Fraunhofer Gesellschaft tätig.
Von 2012 bis 2015 studierte er berufsbegleitend an der Verwaltungs- und Wirtschafts- Akademie (VWA) in München und machte dort seinen Abschluss zum Diplom Betriebswirt VWA.