Herausforderung „Schüler im Netz“ – Wie kann man Jugendliche zu einem bewussten Umgang mit dem Internet sensibilisieren?

Interview mit Andrea Herold

Für Kinder und Jugendliche birgt das Internet mannigfaltige Gefahren. Auf diese hinzuweisen kann für Eltern und Erziehungsberechtigte zu einer echten Herausforderung werden: Denn während Grundschulkinder Themen wie Datenschutz abstrakt vorkommen, nehmen Teenager die Forderung nach einem vorsichtigeren Umgang mit dem Internet nicht selten als unbegründete Zumutung wahr. Denn im Ranking vertrauenswürdiger Ratgeber in Sachen Internet stehen das eigene Bauchgefühl und der Austausch im Freundeskreis bei ihnen weit vor der Meinung von Personen mit Fachwissen, Eltern oder Schule. Wie kann dieser Entwicklung begegnet werden? Um Lehrkräfte bei der Vermittlung von Medienkompetenzen in der Schule zu unterstützen, entwickelte Fraunhofer zusammen mit EIT Digital das Programm Cybersecurity4Schools. Wie das Programm entstand, was es auszeichnet, und welche innovativen Methoden dabei eingesetzt werden, fragen wir Andrea Herold, Projektleiterin beim Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS.

Fraunhofer IAIS und EIT Digital haben erkannt, dass die Vermittlung von Medienkompetenz in den Schulen den Schlüssel zur Sensibilisierung der Jugend für die Risiken des Internets darstellt. Wie ist das Projekt „Cybersecurity4Schools genau entstanden?

Bild: Andrea Herold, Projektleitung für Bildungskonzepte am Fraunhofer IAIS

Aus verschiedenen Studien[1] ergab sich der Rückschluss, dass sich der Start ins Onlineleben bei Kindern immer früher gestaltet. Bereits 50% der Achtjährigen sind online, ab 12 Jahre werden es sogar 100%. So verwundert es nur wenig, dass bereits die Hälfte der 11- bis 16-Jährigen diverse Internetrisiken erlebt hat. Basierend auf der internationalen Bildungsstudie ICILS (International Computer and Information Literacy Study) zeigt sich allerdings, dass sich der Beitrag des deutschen Schulsystems zum Erwerb computer- und informationsbezogener Kenntnisse teilweise deutlich unterhalb des internationalen Mittelwerts bewegt. Durch die besonderen Umstände der Covid-Pandemie hat sich dies an deutschen Schulen im Eiltempo drastisch verändert. Dies resultiert nicht zuletzt in der vermehrten Nachfrage nach verschiedensten Cybersecurity-Themenfeldern.

Vor diesem Hintergrund stellten wir von Fraunhofer und EIT Digital uns die Frage, wie dieser Entwicklung begegnet werden kann. Es war uns klar, dass hierfür ein frühzeitiges Sensibilisieren, Bewusstsein und Kompetenzaufbau aus der Peergruppe heraus erforderlich sind. Auch mit der Option, aus der Schule heraus Familien und Öffentlichkeit zu erreichen, die sich ebenfalls unzureichend über Art und Vorgehensweisen von Cyberbedrohungen informiert fühlen. Weil bisher noch kein

Weiterbildungsprogramm mit dem Ansatz eines moderierenden Austauschs aus der Peergruppe heraus angeboten wurde, entwickelten wir „Cybersecurity4Schools“.

Eine Peergruppe ist eine Gruppe, der sich ein Individuum zugehörig fühlt. Was bedeutet also, dass der Bewusstseinsaufbau „aus der Peergruppe heraus“ erfolgen soll?

 Einen mehr oder weniger souveränen Umgang mit dem Internet erlernen Kinder (und allgemein die Nutzenden) primär durch eigene Erfahrungen – sprich, indem sie vieles „einfach mal ausprobieren“. Bei der Suche vertrauenswürdiger Ratgeber in Sachen Internet steht das eigene Bauchgefühl und der Austausch mit im Freundeskreis weit vor der Meinung von Personen mit Fachkenntnissen, Eltern oder Schule. Deswegen sollte der Weg zum bewussten Umgang mit dem Internet beim Austausch mit Mitgliedern jener Gruppe ansetzen, der sich die Jugendlichen am nächsten fühlen, nämlich Gleichaltrigen oder Klassenkameraden.

Wie wirkt sich dies auf die Gestaltung des Unterrichts aus?

Zuallererst wandelt sich die Funktion der Lehrenden von der Leitung hin zur Begleitung des Unterrichts. Statt große Vorgaben zu machen, moderieren diese die Unterrichtsstunde, die nach unserem Programm in drei Einheiten geteilt ist, nämlich Warm-up, Hands-on und Reflexion.

Können Sie näher auf diese drei Phasen eingehen?

In der ersten Phase, dem sogenannten „Warm-up“, wird von einer Lehrperson eine Frage zum Thema Cybersicherheit aufgeworfen (etwa „Benutzt ihr Messenger-Apps?“, „Habt ihr positive/negative Erfahrungen damit gemacht?“), aus der eine Anfangsdiskussion unter den Schülern*innen entsteht. Dabei tauscht man sich gegenseitig aus und konfrontiert sich mit Erfahrungen. In der zweiten Phase, dem „Hands-on“, wird ein Onlinephänomen nachgespielt (z.B. Hack eines Chats). Abschließend reflektiert man zusammen darüber, was beim Nachspielen passiert ist. Der Ansatz „Erfahrungen gemeinsam sammeln, austauschen und reflektieren, um hieraus Handlungsempfehlungen zu erarbeiten“ wird auf diese Weise in die Tat umgesetzt.

Ist das Bildungsprogramm „Cybersecurity4Schools“ das erste dieser Art hier in Deutschland?

Nein, es gibt bereits verschiedene Bildungsprogramme, die Medienkompetenz und Sicherheit im Netz im Fokus haben. Beispiele dafür sind „klicksafe“, „Medien in die Schule“ und „Internet-ABC“. Diese stellen informative Materialien für Eltern und Lehrende bereit. Was unserer Meinung nach fehlt, ist das Abholen und Mitnehmen der Lehrkräfte auf Basis einer Fortbildung durch Cybersicherheitsexperten.

Mit dem Format „Teach the Teacher“ setzt „Cybersicherheit4Schools“ daher genau bei dieser Lücke an. Auch das Lernlabor Cybersicherheit der Fraunhofer Academy arbeitet nach einer solchen Methode und bietet Schulungen wie „Sichere Digitale Lehre“ an, die Lehrende auf eine sichere und datenschutzkonforme Nutzung von digitalen Kommunikationsmedien vorbereiten. Was allerdings „Cybersicherheit4Schools“ auszeichnet, ist die Tatsache, dass den Lehrkräften neben inhaltlichen Aspekten, auch didaktisch/pädagogische Ansätze angeboten werden. Denn die Lehrkraft ist und bleibt – Schlüsselfigur, um die Schülerschaft in ihrer Peergroup zu erreichen.

Wie genau erfolgt die Fortbildung?

 Grundsätzlich fußt das Fortbildungskonzept für Lehrkräfte auf einer MOOC-Kursreihe (Massive Open Online Course), ergänzt durch virtuelle Live Trainings, Live und FAQ Sessions (nach dem Prinzip des Blended Learning). Der MOOC führt jede Lehrkraft in das Thema Cybersicherheit ein. Dabei werden in vier Modulen die Themen behandelt „Wie bewege ich mich im Internet?“, „Passwörter und Datensicherheit“, „Datenschutz und Big Data“ sowie „Citizen Science“. Im Anschluss daran erhalten die Kursteilnehmenden die Möglichkeit, online an Live Trainings teilzunehmen, die von unseren Fachkräften der Bereiche Cybersicherheit und Didaktik durchgeführt werden, und in denen die Lehrkräfte individuelle Fragen per Chat oder im Gespräch stellen können. Während der Live Trainings erhalten sie zudem wichtige Impulse und Hilfestellungen für ihren Unterricht.

Gibt es außer der Lehrfortbildung weitere Unterschiede zwischen „Cybersecurity4Schools“ und anderen Programmen?  

Ja, ein weiterer Pluspunkt unseres Programms ist die Bereitstellung von Lernmaterialien für den Unterricht, welche die Kinder basierend auf Hands-on-Herausforderungen über Cybersicherheit aufklären und sensibilisieren. Denn bei bereits existierenden Projekten ist der Mangel an Bewegung, Austausch und Interaktion im Unterricht problematisch. Wenn Kindern nur Quizangebote und Texte vorgelegt werden, wird es schwierig, sie mitzunehmen. Deswegen folgt die Aufbereitung der Lehr- und Lernmaterialien bei „Cybersecurity4Schools“ dem Ansatz des erfahrungsbasierten Lernens, beziehungsweise des Lernens durch Begreifen. Selbermachen ist dabei ein zentrales Element: Das eigene Erleben bildet den entscheidenden Ausgangspunkt des Erkenntnisprozesses und hilft, das Gelernte nachhaltig zu verankern.

Nehmen wir das Beispiel Messenger-Apps. Wie findet hier die Sensibilisierung für die damit verbundenen Risiken statt?

 Durch Nachspielen digitaler Phänomene, wie z.B. der Funktionsweise von Netzwerken oder des Sammelns von Daten, entwickeln die Lernenden ein grundlegendes Verständnis für die Thematik. Bezüglich des Themas „Messenger“ darf ich verraten, dass natürlich auch dies eine Anwendung ist, die im Material aufgegriffen wird. Basierend auf einem Microboard wird ein Mini-Messenger selbst entwickelt, um die Risiken des Austauschs von unverschlüsselten Nachrichten zu thematisieren. Das Mitlesen wie auch das Enträtseln einfach verschlüsselter Nachrichten darf hier ebenfalls von den Schüler-/innen neugierig betrachtet werden.

Außerdem wird im Rahmen des Live Trainings Cybersecurity „Geliked geteilt gehackt – Sicherer Umgang in sozialen Netzwerken“ auch der Umgang mit Cybermobbing aufgegriffen. Zusätzlich umfasst das Live Training „Neue Phänomene im Bereich Cybercrime“ Themen wie Sexting, Cybergrooming sowie die Frage, welcher rechtliche Rahmen in Bezug auf Cybermobbing, Cybergrooming, Urheberrecht, Computerbetrug, Computersabotage, Ausspähen und Abfangen von Daten sowie in der Datenverarbeitung zu beachten ist.

 Die Teilnahme am Projekt „Cybersecurity4Schools“ ist kostenlos. Wie funktioniert sie genau? Entscheiden die Schulen oder die Lehrkräfte darüber, ob sie mitmachen?

 Ziel des Programms ist es, Lehrkräften (egal aus welchem Fach) den Zugriff auf ein Fortbildungsangebot möglichst flexibel und unabhängig vom Schulbetrieb zu ermöglichen. In Form von MOOCs ist es daher einer großen Anzahl von Teilnehmenden frei und ohne Kosten zugänglich. Die Lehrkräfte erhalten nach Abschluss jedes einzelnen MOOC-Kurses eine Teilnahmebescheinigung sowie ein Abschlusszertifikat aller vier MOOCs und Live Trainings. Weitere Informationen und aktuelle Termine erhalten Sie hier: https://cybersecurity4schools.de/lehrkraefte/veranstaltungen/, sowie unter https://lernen.cloud/channels/cybersecurity4schools

Wann werden dann die Inhalte des Programms an die Kinder vermittelt?

Das Material ist modular aufgebaut, wobei die einzelnen Module durch Gliederung in 45-Minuten-Einheiten den Einsatz im Unterricht vorsehen. Insgesamt umfasst es vier Module mit jeweils mindestens zwei Themenfeldern à zwei bis drei 45-Minuten-Einheiten.

Wir empfehlen, die Module im Rahmen von Projekttagen oder -wochen durchzuführen: Die Unterrichtseinheiten müssen dann nicht unterbrochen werden und können fließend ineinander übergehen. Ebenso kann eine Umsetzung in Arbeitsgemeinschaften stattfinden.

Planen Sie weitere Projekte im Rahmen des Programms „Cybersecurity4Schools“?

 Unser Augenmerk liegt auf der Propagierung im deutschsprachigen Raum und der Adaption für andere EU-Länder. Bisher wurden ausschließlich englisch- und deutschsprachige Varianten des Programms ausgearbeitet, allerdings ist in Zukunft die Entwicklung weiterer länderspezifischer Varianten nicht auszuschließen, denn das Material ist so aufgebaut, dass die Übertragung in eine andere Sprache rasch erfolgen kann.

Vielen Dank, Frau Herold, für dieses Interview.

[1] DIVSI, 2014; DIVSI, 2018; mpfs, 2000; Bitcom, 2019

1 thoughts:


  1. Die Herausforderung, Jugendliche für einen bewussten Umgang mit dem Internet zu sensibilisieren, ist zweifellos immens. Der Artikel beleuchtet sehr anschaulich die Notwendigkeit, Medienkompetenz frühzeitig zu vermitteln. „Cybersecurity4Schools“ erscheint als ein vielversprechender Ansatz, um Lehrkräfte dabei zu unterstützen, Jugendliche auf die Risiken des Internets vorzubereiten.
    Die Idee, das Bewusstsein aus der Peergruppe heraus zu entwickeln, ist besonders klug. Schließlich vertrauen Jugendliche oft eher ihren Gleichaltrigen. Die Unterteilung des Unterrichts in die Phasen „Warm-up“, „Hands-on“ und „Reflexion“ scheint eine effektive Methode zu sein, um Schüler aktiv einzubeziehen. Könnte dieses Programm auch außerhalb von Schulen angeboten werden, um Eltern und die breite Öffentlichkeit einzubeziehen?

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