Roman Götter

Nachhaltigkeit im Fokus: „Wissenschaft muss Lösungen liefern“

Das Thema Nachhaltigkeit wird durch die Corona-Krise gerade in den Hintergrund gedrängt – doch in der Krise liegen auch Chancen, die Unternehmen und Einzelne für sich erschließen können. Ein Interview mit Dr. Roman Götter, dem Leiter der Fraunhofer Academy.


Herr Dr. Götter, das Thema Nachhaltigkeit ist in der öffentlichen Diskussion durch die Corona-Pandemie in den Hintergrund geraten. Für Fraunhofer und die Fraunhofer Academy spielt sie aber eine große Rolle. Welche Bedeutung hat das Thema aktuell für Sie – und welche sollte es für Unternehmen haben?

Roman Götter: Natürlich überlagert Corona im Moment alles an Planungen, Kommunikation und Diskussionen und stellt eine gravierende Krise dar. Mangelnde Nachhaltigkeit wird aber eine noch viel größere Auswirkung auf die Menschheit haben und uns in einem Zeithorizont über Jahrzehnte beschäftigen. Mit Glück und wachem Verstand können wir deshalb aus der jetzigen Krise Chancen erwachsen lassen – auch für das Thema Nachhaltigkeit.

Inwiefern?

Die Corona-Krise kann zu einem gewissen Reset führen. Ich bin früher jede Woche irgendwo auf Dienstreise gewesen, jetzt mache ich am Tag fünf Videokonferenzen – die mit Blick auf den CO2-Ausstoß viel schlauer sind als die ganzen Reisen. Derartige Erfahrungen machen gerade sehr viele.

Zudem hinterfragen wir moderne Wirtschaftsformen, weil wir ihre Konsequenzen spüren. Die natürlichen Grenzen und Bruchstellen werden uns gerade bewusster. Natürlich kann ich in einer Wertschöpfungskette etwa Schutzausrüstung weit entfernt herstellen und einkaufen lassen. Wenn ich keinen Plan B habe, zeigt aber eine Krise wie diese die Gefahren und Folgen deutlich auf, die eine solche Abhängigkeit hat – von negativen Umweltfolgen noch ganz abgesehen.

Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind die beiden Pole, die auch uns als Fraunhofer Academy sehr beschäftigen. Gerade geht es stärker als sonst darum, sie zu verbinden, sie auszubalancieren.

Liefern wissenschaftliche Erkenntnisse hier die notwendige Orientierung?

Das hoffe ich doch sehr, denn das ist unsere Aufgabe. Damit sich fundierte Diskussionen führen und Entscheidungen treffen lassen, muss die Wissenschaft Erkenntnisse bieten und Antworten liefern. Zusätzlich ist ein Grundvertrauen in die Wissenschaft sowohl bei Entscheidern in der Wirtschaft als auch in der breiten Öffentlichkeit erforderlich, welches wir uns immer wieder erarbeiten sollten. Deshalb engagieren wir als Fraunhofer Academy uns hier auf mehreren Ebenen – überall dort, wo wir aus unserem Portfolio Relevantes beitragen können.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Wir bieten ja nicht nur Unternehmen und Arbeitnehmern professionelle Weiterbildungen an. Wir beteiligen uns auch an gesellschaftlich relevanten Projekten wie dem schwimmenden Science Center »MS Wissenschaft« oder dem ersten Bürgerbeteiligungsschiff »MS Halle«: Beide bringen Forschung direkt zur breiten, interessierten Öffentlichkeit, machen sie anfassbar und schaffen Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit. Damit wollen wir Handlungsmöglichkeiten und berufliche Perspektiven aufzeigen, um jungen Menschen schon ab dem Kindergartenalter Impulse zu geben, die auch Verhaltensänderungen auslösen können. Und etwas von der Begeisterung mitzugeben, die uns antreibt.

Und wie passt das zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals), denen Sie sich verbunden fühlen?

Nun, hochwertige Bildung ist ja eines dieser Ziele – das ist für uns als Weiterbildungseinrichtung zentral. Dementsprechend bieten wir im Rahmen unserer umfangreichen Weiterbildungsangebote verschiedene Formate wie Seminare, Zertifikatsprogramme und Studiengänge sowie Material für Mitarbeitende aus technologieorientierten Unternehmen, um bei der Erreichung von Zielen wie bezahlbarer und sauberer Energie, Industrie, Innovation und Infrastruktur, menschenwürdiger Arbeit und Wirtschaftswachstum sowie nachhaltigen Städten und Gemeinden zu unterstützen. Ursprünglich war auch ein 18. Ziel vorgesehen: Verhaltensänderung. Dieser Punkt hat für mich eine große Bedeutung, denn es geht ja nicht nur um Wissen und Können, sondern auch um das Tun. Ob nun eine Firma ein Nachhaltigkeitsmanagement aufsetzt oder der Einzelne seine Reise- und Ernährungsgewohnheiten verändert. Das ist – bei allen Lernprozessen – immer das Schwierigste. Nicht nur verstehen, sondern auch machen.

Da gibt es sicherlich viele Anknüpfungspunkte zu den Tätigkeiten der Fraunhofer Academy?

Absolut. Zunächst muss ich etwas über existierende Probleme und Lösungsansätze erfahren, Know-how aufbauen. Es geht aber auch um die eigene Motivation, sich dafür zu interessieren und zu erkennen, warum etwa Nachhaltigkeit in Relation zu anderen Unternehmenszielen so wichtig ist, dass Veränderungen notwendig sind. Und dann gilt es natürlich auch, dass ich in die Lage versetzt werde, diese umzusetzen. Hier wollen wir auch Begeisterung wecken – was zu unseren Kernmethoden gehört. Sachen neu und besser zu machen, bereitet nämlich auch Spaß.

Was können Unternehmen nun konkret tun, um ihr Wirtschaften nachhaltiger zu gestalten?

Dazu muss man zunächst verschiedene Arten von Unternehmen unterscheiden: Der Erdölförderer zum Beispiel wird nie nachhaltig sein, wenn er sich nicht vom Kern seines Geschäftsmodells löst. Er kann nur Schäden verringern. Ein Solarzellen-Hersteller hingegen hat eine andere Ausgangslage – aber auch er kann in seiner Produktion vielfältiges Optimierungspotenzial haben. Für die meisten Unternehmen beginnt es damit, kritisch zu hinterfragen, ob ihr Bereich auch in 5, 10 oder 30 Jahren noch relevant sein wird. Autohersteller sind ja ein beliebtes Beispiel: Es geht eben nicht nur um die nächste kleine Modellerneuerung, sondern um gänzlich andere Formen von Mobilität. Damit hängen andere Produkte, Services und sogar Geschäftsmodelle zusammen. Das sind disruptive Veränderungen, bei denen Unternehmen und ihre Mitarbeiter Partner brauchen, um diese neuen Wege zu gestalten. Wir können einer davon sein, ihnen helfen, das Gesamtbild besser zu verstehen und sich gezielt neu erforderliche Kompetenzen anzueignen.

Welche Bereiche umfasst ihr Portfolio hierfür?

Bei alternativen Energieformen zum Beispiel bieten wir das vollständige Spektrum an – von Wind über Photovoltaik bis hin zu Umweltwissenschaften generell. Im Januar hat Fraunhofer zudem ein neues Institut für Geothermie gegründet. Ich gehe davon aus, dass wir auch hier in absehbarer Zeit Weiterbildung anbieten können. Unser Portfolio entwickelt sich stetig weiter, in Abhängigkeit davon, wie wir die uns vom Vorstand der Fraunhofer-Gesellschaft zur Verfügung gestellten Fördermittel einsetzen können und welche Anfragen uns erreichen. Wir haben in der aktuell laufenden Förderlinie zum Thema Nachhaltigkeit etwa Projektanträge zur Entwicklung von Weiterbildungsprogrammen im Bereich nachhaltige Mobilität, nachhaltige und schadenfreie energetische Altbausanierung oder Data Science im Energiesystem erhalten. Wir können in der Regel bis zu fünf Projekte in den nächsten zwei Jahren fördern und damit unser Portfolio aktiv gestalten.

Herr Götter, angesichts der aktuellen Situation: Gefährdet die Corona-Krise nicht die Umsetzung von Nachhaltigkeits-Projekten? In dem Sinne, dass sie aus dem Blick gerät, Unternehmen sie weniger stark priorisieren oder gar ganz von der Agenda streichen?

Es gibt sicher die Gefahr, dass die finanziellen Einbußen und eine drohende Wirtschaftskrise es Firmen schwieriger machen, in Veränderung zu investieren. Deshalb ist die Bindung von Fördergeldern an den erforderlichen Umbau zur Nachhaltigkeit so bedeutend. Wir als Gesellschaft müssen auf diese Impulse Wert legen. Und ja, es ist eine echte Herausforderung, mitten in der Krise die mittel- und langfristigen Perspektiven nicht außer Acht zu lassen. Doch wenn wir es jetzt nicht tun, werden uns die Auswirkungen dessen in einigen Jahren viel mehr zu schaffen machen. Wir und unsere Kinder werden die Folgen von zu wenig Nachhaltigkeit sehr deutlich / empfindlich spüren. Deshalb ist es wichtig, nicht untätig zu sein, im Kleinen anzufangen und Dinge auszuprobieren und umzusetzen.

Vielen Dank für das Interview!

Wenn Sie mehr zum Thema Energie und Nachhaltigkeit erfahren wollen, können Sie hier in der rechten Spalte alle Beiträge zu dieser Kategorie finden.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert